Wie Sie Rat geben, der auch angenommen wird

Ich möchte Ihnen einen guten Rat geben:

Geben Sie niemals gute Ratschläge. Zumindest nicht, bevor Sie diesen Artikel gelesen haben. 

Inhalt


Medizin ohne Rat geben? 

Patienten, die zu uns in die Sprechstunde oder Visite kommen, erwarten den Rat des Experten. Und wenn es um Halsschmerzen und eingewachsene Zehennägel geht, dann freut sich jeder über unsere Expertise und die wertvollen Informationen. 

Aber oft sind wir mit Situationen konfrontiert, in denen wir gerne Rat geben möchten, aber unser Gegenüber nicht unbedingt unseren Rat hören möchte. 

Kennen Sie das auch? 

Haben Sie schon mal gut gemeinte Ratschläge erhalten, obwohl sie nicht danach gefragt hatten? Obwohl Sie keinen Anlass erkennen konnten, warum jemand es für nötig hält, Ihnen scheinbar gute Tipps zu geben? 

Sie mit Informationen zu überfluten, die Sie alle schon längst kannten? 

Haben Sie sich gefreut? Oder eher geärgert? 

„Ungebetener Rat ist die Spam-Mail des Alltags.“
Bern Williams

Beruflich kommen wir in solche Situationen, wenn wir Themen ansprechen wollen, die für unsere Patienten eher unangenehm sind oder mit denen sich Menschen eher ungern beschäftigen. 

Das kann vorkommen, wenn wir: 

  • Das Thema Übergewicht und mangelnde Bewegung ansprechen möchten. 
  • Für die Schäden durch Rauchen und Trinken sensibilisieren wollen. 
  • Für die Vorteile einer anderen Ernährung werben möchten. 
  • Die Bedeutung der Medikamente betonen wollen, denen der Patient kritisch gegenübersteht. 
  • Aufklären müssen über Risiken und Nebenwirkungen und sichergehen wollen, dass der Patient es versteht. 

Wenn wir jetzt einfach unsere Ratschläge raushauen, richten wir eher Schaden an.  

In der motivierenden Gesprächsführung (MI) nach Miller und Rollnick (Im Herbst 2023 in der vierten Auflage erschienen) geht es darum, über solche Themen ins Gespräch zu kommen, ohne unser Gegenüber zu verärgern, Widerstand zu erzeugen und Gegenargumente zu provozieren. 

In MI nutzen wir eine Technik, mit der wir Rat geben können, der auch angenommen wird. 

Brauchen solche Gespräche dann länger? Im Gegenteil. 

Wann geben wir Rat und Information?

Wenn uns wichtig ist, dass unser Rat und die Informationen angenommen werden, sollten wir zuvor in eine gute Beziehung zu unserem Patienten investiert haben. 

Nur wenn unser Gegenüber Vertrauen zu uns hat, wird er offen sein für unsere Informationen und Ratschläge. 

In der motivierenden Gesprächsführung passiert das in der Phase des „Engaging“, wo wir durch offene Fragen, aktives Zuhören, Würdigungen und Zusammenfassungen unserem Patienten ein echtes Interesse, ungeteilte Aufmerksamkeit und Empathie signalisieren. 

Online-Kurs zu motivierender Gesprächsführung

Online-Kurs zu motivierender Gesprächsführung

Es sollte uns auch klar sein, was der Patient überhaupt möchte, damit wir gezielte Ratschläge und Informationen geben können. 

Wir wollen sicher sein, dass ein Rat jetzt passt. Manchmal suchen Menschen einfach nur jemanden zum Reden und nicht unbedingt eine Lösung für ihr Problem.

Fragen wir uns also immer: Ist mein Ratschlag hier wirklich willkommen und nützlich? Oder benötigt der Mensch vor mir gerade eher Unterstützung und Verständnis?

"Rat ist das, wonach wir fragen,
wenn wir die Antwort bereits kennen, 
aber wünschen, es wäre nicht so."

Erica Jung


Weich verpacken

Wenn wir mit der Tür ins Haus platzen, führt das selten zum Erfolg. Wir wollen nicht zu rasch mit den harten Fakten, Informationen und Ratschlägen beginnen. 

Ähnlich wie einen Hamburger, packen wir unseren Rat zwischen zwei weiche Brötchenhälften. Wir achten auf eine gute Einleitung ins Thema und einen guten Abschluss. 

Dialog statt Monolog

Wenn wir Patienten erreichen wollen, sollten wir auf das Dozieren und den Monolog verzichten. Der Beginn mit offenen Fragen signalisiert unser Interesse und unseren Wunsch nach Beteiligung. Wir signalisieren, was wir besprechen: 

  • „Welche Behandlungsmöglichkeiten bei Diabetes sind Ihnen bekannt?“
  • „Was wissen Sie schon über die Behandlung von Bluthochdruck?"
  • „Was würde Sie über diese Behandlung noch interessieren?"

Mit solchen Fragen bereiten wir unseren Gesprächspartner vor, wir öffnen ihn für das Thema. 

"Der Verstand ist wie ein Fallschirm...
er funktioniert nur, wenn er offen ist."

Franz Zappa

Wir erfahren dabei auch, was unser Patient zu dem Thema schon weiß. Wir können anschließend unsere Informationen gezielt anpassen. Wir erzählen unserem Gegenüber nichts, was er schon weiß. Das spart Zeit!

Erst Erlaubnis einholen

Bevor wir einen Rat geben, ist es entscheidend, um Erlaubnis zu bitten. 

Warum? 

Weil dies die Autonomie des Patienten respektiert und seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit fördert.

Für uns Experten mag es ungewohnt wirken, um Erlaubnis zu bitten. Aber es ist ganz einfach: 

  • "Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen?"
  • "Würde es Ihnen bei der Entscheidung helfen, wenn ich Ihnen noch etwas mehr dazu erzähle?" 
  • "Würden Sie gerne meine Gedanken zu diesem Thema hören?" 
  • "Ich könnte Ihnen erzählen, was anderen Patienten in Ihrer Situation geholfen hat. Wäre das für Sie interessant?"

Durch diese Fragen signalisieren wir Respekt für die Meinung Ihres Klienten und eröffnen den Raum für eine offene Diskussion.

Und wenn der Patient ablehnt? 

Was aber, wenn unser Patient keine Ratschläge möchte? Dann müssen wir die Entscheidung so respektieren und andere Wege zur Unterstützung finden. Unser Patient hätte uns dann ohnehin nicht zugehört und nichts umgesetzt. Dann können wir uns auch mit der Zimmerpflanze unterhalten, das fördert angeblich ihr Wachstum

Erlaubnis als Zeichen des Respekts

Das Einholen der Erlaubnis zeigt nicht nur Ihren Respekt gegenüber dem Klienten, sondern stärkt noch mal das Vertrauensverhältnis. Dieses Vertrauen ist unerlässlich, wenn wir Veränderung bewirken wollen. 

Selbst wenn der Patient scheinbar aktiv von sich aus nach Rat fragt, wollen wir auf Nummer sicher gehen. Auf die Frage "Was soll ich tun, Frau Doktor?", fangen wir nicht sofort an, unser Wissen zu verbreiten.  Wir fragen nochmal nach: 

  • "Sie möchten von mir hören, was Sie tun könnten?" 

Erst, wenn wir jetzt ein "ja" bekommen, beginnen wir mit Rat geben und Informationen. 

WissensWert

Die motivierende Gesprächsführung (MI) betont die Wichtigkeit, vor dem Geben von Ratschlägen um Erlaubnis zu bitten. Dadurch wird der Autonomie des Klienten Respekt gezollt und das Vertrauensverhältnis gestärkt. Es ist wichtig, Entscheidungen des Klienten zu respektieren.


Kurz und knackig

Wir haben das Thema vorbereitet, wir wissen, was der Patient schon weiß und wir haben uns versichert, dass er unseren Rat auch hören möchte. 

Jetzt ist unser Gegenüber offen für unsere Informationen, die wir kurz halten und einfach formulieren. Die Menge an Informationen, die ein Mensch verarbeiten kann, ist begrenzt und es hilft nicht weiter, wenn wir unseren Patienten überlasten.

Wie formulieren wir den Rat? 

Die Art und Weise, wie wir den Rat formulieren, kann einen großen Einfluss darauf haben, wie er auf- und angenommen wird. 

Wir wollen Belehrungen vermeiden ("Sie müssen..."), die als übergriffig empfunden werden können und Patienten in die Defensive drängen. 

Wir können uns immer wieder überlegen, wie wir uns selbst fühlen würden, wenn wir solche Dinge hören. Wir wollen alles so formulieren, dass unser Patient immer spürt, dass er die Kontrolle hat und selbst entscheidet, was er macht. 

  • "Vielleicht könnte es für Sie eine Möglichkeit sein ... zu probieren."
  • "Haben Sie schon mal daran gedacht, ... zu machen?"
  • "Viele Menschen haben davon profitiert, wenn Sie..."

Wenn möglich, sollten wir auch mehrere Optionen anbieten, damit der Patient die Wahlfreiheit erlebt, selbst eine Option zu wählen. 

Wir achten auch auf eine positive Sprache, die Hoffnung und Zuversicht weckt. 

WissensWert

Direkte Belehrungen sollten vermieden werden, stattdessen ist es wichtig, offene Fragen zu stellen oder Vorschläge zu machen. Dabei sollte darauf geachtet werden, keine Werturteile oder Annahmen in den Ratschlag einzubauen und eine positive Sprache zu verwenden. 


Mit der Schlüsselfrage enden

Nachdem wir unsere Informationen vermittelt haben, wollen wir wieder in den Dialog einsteigen. Wir können nachfragen, was bei unserem Gegenüber angekommen ist: 

  • "Mir ist wichtig, dass ich es so erklärt habe, dass Sie alles verstehen konnten. Können Sie mir noch mal kurz zusammenfassen, was Sie verstanden haben?"
  • "Wie klingt das jetzt für Sie?"

Und dann möchten wir erreichen, dass unser Patient den Rat auch annimmt. Wir möchten ihn einladen, "Change Talk" zu formulieren, also selbst Gründe zu formulieren, warum er die Ratschläge annehmen sollte. Zum Abschluss möchten wir ihn motivieren, den Rat nicht nur zu hören, sondern auch anzuwenden. Und dazu verwenden wir wieder eine offene Frage. 

In der motivierenden Gesprächsführung wird sie die „Schlüsselfrage“ genannt: 

  • „Jetzt, wo Sie die Informationen haben, würde mich zum Schluss noch eines interessieren: Was meinen Sie? Was werden Sie jetzt tun?“

Mit dieser Frage regen wir unser Gegenüber an, selbst zu formulieren, was er tun möchte. Ohne Druck, ohne erhobenen Zeigefinger und mit Respekt für die Autonomie unseres Patienten. 

Einladung zum Ausprobieren

Für viele mag es eine Herausforderung sein, nicht immer gleich mit Rat geben zu reagieren, sondern mit der Hamburger-Technik offene Fragen zu stellen, den Dialog zu suchen und die Autonomie zu betonen. 


Das Tolle an allen Techniken der motivierenden Gesprächsführung: Man kann es im nächsten Patientengespräch einfach mal ausprobieren. 

Wie verändert es das Gespräch, wenn Sie nächstes Mal nur probieren, um Erlaubnis zu fragen, bevor Sie etwas erklären. Und wenn es klappt, bietet „Motivational Interviewing“ noch viel mehr! 


Mehr erfahren über motivierende Gesprächsführung




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