Letzte Woche ist mir an einer sehr banalen Situation mal wieder ein Licht aufgegangen. Ich war kurz davor, mich ziemlich unglaubwürdig zu machen. Aber zum Glück hab ich es gerade noch gemerkt.
Was war passiert?
Wir haben jeden Morgen unsere kurze Frühkonferenz, in der der Arzt vom Dienst
von der Nacht berichtet. Je nachdem, wie strukturiert die Kollegen sind, kann die Veranstaltung auch ziemlich lang werden. Alle möchten, dass es schnell geht und so versuche ich daraus eine kurze, sachliche Besprechung zu machen.
Kaffee in der Frühbesprechung?
Kennen Sie diese wiederverwendbaren Coffee-to-go-Becher, die jetzt in Mode kommen?
Mit so einem Ding kommt ein Kollege seit kurzem fast täglich in die Frühbesprechung.
Irgendwie gefiel mir das gar nicht. Nachdem er immer wieder damit kam, habe ich ihn darauf angesprochen. Ich habe ihn gebeten, doch bitte ohne Kaffeetasse in die Frühbesprechung zu kommen.
Was macht er?
Er kommt auch weiterhin mit diesem Pott in die Besprechung! Als ob ich nie mit ihm gesprochen hätte!
Was tun, wenn der Bitte nicht entsprochen wird?
Droht jetzt Anarchie? – Eher nicht.
Ist zu befürchten, dass demnächst alle ihr Frühstück oder einen Döner mitbringen? – Wohl kaum.
Will er provozieren? – Möglich.
Steht der Untergang der Klinik bevor? – Sieht nicht so aus.
Trotzdem war mein erster Impuls, ihn sofort zur Rede zu stellen: „Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich Sie nicht mehr mit Kaffeetasse in der Frühkonferenz sehen will“.
Habe ich das wirklich gesagt?
Zum Glück nicht, denn es wäre reichlich übertrieben gewesen. Ich habe ihm erklärt, warum ich bei seinem Verhalten Bedenken habe. Dann habe ich ihn gebeten, es zu unterlassen. Ich habe eine Bitte geäußert.
Was unterscheidet eine Bitte von einer Forderung?
Als Führungskräfte müssen wir unsere Worte genau wählen. Es ist mir schon so oft passiert, dass ich etwas gesagt habe, es aber bei den Kollegen völlig anders angekommen ist. Wenn wir Ratschläge geben, kommen diese oft eher als Anordnungen an, auch wenn wir es gar nicht so meinen. Mit Lob verhält es sich ähnlich.
Eine Bitte ist eine Bitte, wenn es unserem Gegenüber frei steht, darauf einzugehen oder auch nicht. Wir möchten, dass jemand etwas tut, aber nur, wenn er auch wirklich will.
Wir überlassen dem anderen die freie Wahl. Das heißt aber auch, dass wir nich böse oder traurig sein dürfen, wenn der andere entscheidet, unserer Bitte nicht zu entsprechen.
Sind wir doch böse oder enttäuscht, war es in Wirklichkeit keine Bitte. Dann war es eine Forderung, die wir nur höflich hinter einer Bitte verstecken wollten.
Forderungen stellen wir dann, wenn wir genau anweisen, was zu tun ist und wie es zu tun ist. Hier überlassen wir dem anderen keine Wahl.
Forderungen hinter Bitten zu verstecken macht uns unglaubwürdig
Wenn wir diesen Fehler auch nur einmal begehen, machen wir uns bei unseren Mitarbeitenden unberechenbar. Keiner kann mehr unterscheiden, ob unsere Bitte wirklich eine Bitte ist, oder ob es sich nicht doch um einen Befehl handelt.
Das führt zu Verunsicherung. Meint der Chef es jetzt wirklich als Bitte, oder bekomme ich Ärger, wenn ich der „Bitte“ nicht entspreche?
Im Zweifelsfall entscheiden sie sich, alles als Forderung zu verstehen, dann gibt´s schon keinen Ärger.
Wollen wir uns die Chance auf Bitten verbauen?
Im Krankenhaus sind wir oft mit Situationen konfrontiert, in denen wir Anordnungen geben und sicher sein müssen, dass diese auch umgesetzt werden. Dann sollten wir es auch klar und deutlich formulieren. Stellen wir Forderungen, wo eigentlich die Bitte angemessen wäre, provozieren wir, dass unser Gegenüber sich in seiner Autonomie eingeschränkt fühlt und Wege sucht, dagegen zu rebellieren.
Muss es immer eine Anordnung sein?
Oder ist es nicht auch eine Form des Respekts gegenüber Kollegen, in weniger entscheidenden Situationen die Wahlfreiheit zu geben, selbst Entscheidungen treffen zu dürfen? Das gelingt nur, wenn wir unseren Kollegen die Sicherheit geben, dass unsere Bitten auch wirklich Bitten sind.
Denn ob es eine Bitte oder Forderung war, erkennen Sie erst an der Reaktion, wenn der Bitte nicht entsprochen wird.
Und wie steht es um Ihre Bitten?
Hallo Christopher,
vielleicht sehe ich es falsch. Ich erinnere mich an meine Frühbesprechungen in der Chirurgie der Uni Bern. Straff, knapp, Infos kamen nach 5 Minuten über etwa 5 Stationen rüber. Kaffee hatte da keiner dabei. Undenkbar.
Du hast das, was Du gerne wolltest, als Bitte formuliert, wie Du sagst. Das schließt ja nicht aus, daß Du repetieren kannst und sagen: ich will das nicht. So sehe ich es jedenfalls. Ich würds begründen und sagen: Herr XY, erst bat ich Sie um das und das, wir haben uns vielleicht beide mißverstanden. Ich will, daß diese Kaffeetrinkerei in der Frühbesprechung aufhört. Vielleicht habe ich selbst einen Fehler gemacht, daß ich das nicht klar genug ausgedrückt habe. Aber ab jetzt ist Schluß.
Das ist aber eine Anregung von einem Laien.
Ob es etwas über das Klima in Eurer Abteilung aussagt? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, seit 10 Jahren meiner Selbständigkeit habe ich nur 2x ein „Machtwort“ sagen müssen. Darauf bin ich stolz. Aber würde ich z.B. einer Mitarbeiterin sagen: „ich möchte nicht, daß Sie am Arbeitsplatz Kaffee trinken“, dann weiß ich, wird das so passieren.
Ich grüße Dich
Martin
Frühbesprechungen im Krankenhaus sind keine kreativen Kaffeekränzchen von Internetdesignern. Eine Frühbesprechung muss in der Tat straff und sachlich sein, damit man nicht schon in der Früh den ganzen Tagesplan vergeigt. Der Kaffee wird entweder zuhause oder vorher oder nachher in den dafür geeigneten Räumlichkeiten getrunken. Ich wäre in meiner chirurgischen Zeit nichtmal auf den Gedanken gekommen, ein Kaugummi zu kauen (wobei ich die ohnehin nicht mag). Es ist auch ein Akt der Höflichkeit. Die Farbe der Kaffeetasse spielt natürlich nur eine untergeordnete Rolle, da ich Dr. Dedner von früher ein bißchen kenne, gehe ich mal davon aus, daß es auch so gemeint war. Mich würde interessieren: wie hast Du dem Kollegen klar gemacht, daß mit dem Kaffee jetzt Schluß ist?
Hallo Martin, ist ja klasse, hier alte Bekannte zu treffen! Das mit der Farbe der Tasse war tatsächlich nicht ernst gemeint, ist ziemlich egal! Aber auf einer anderen Plattform hat es so viele Diskussionen gegeben, dass ich es jetzt rausgenommen habe. Es lenkte offenbar nur vom eigentlichen Inhalt ab.
Zu deiner Frage: Ich habe nichts gemacht!
Ich habe reflektiert, dass ich es als Bitte formuliert hatte und daran sollte ich mich jetzt auch halten. Wäre es mir so wichtig gewesen, dass ich es verhindern möchte, hätte ich es als Forderung formulieren müssen. Ich habe meinen Frieden geschlossen und er kommt weiter mit Kaffee.
Sagt es etwas über das Klima in unserer Abteilung aus?
Ist es ein Zeichen von schlechtem Klima, weil Bitten nicht nachgekommen wird?
Oder ist es ein Zeichen eines besonders guten Klimas, weil der Kollege darauf vertraut, dass es wirklich eine Bitte war und er darauf vertrauen kann, dass meine Bitten auch wirklich Bitten sind?
Beides ist möglich.