Im Ärzteblatt erschien ein Artikel mit wertvollen Tipps, wie man mit verbalen Attacken von Mitmenschen umgehen kann.
Hilfreich sind die Vorschläge, wie man zum Beispiel bei kritischen Zwischenrufen in Vorträgen kontert. P. Kutscher schlägt vor zu versuchen, eine „kommunikative Brücke“ zu bauen, statt emotional zu kontern oder den Schwanz einzuziehen. Die Erfolge, die man durch gute, aber destruktive Konter erzielen kann, sind nur kurzfristig. Immer klein beigeben geht natürlich auch nicht.
In einem Punkt kann ich Herrn Kutscher nicht zustimmen. Im Artikel wird mehrfach geraten, unbedingt die „Sachebene“ nicht zu verlassen oder sie rasch wieder zu betreten. Man solle „versachlichen“, zum Beispiel durch konkrete Fragen.
Natürlich dürfen wir emotionale Angriffe nicht auf die gleiche Weise kontern. Aber sind wütende Menschen auf der Sachebene erreichbar?
Wütende Menschen sind auf der Sachebene nicht erreichbar
Geht es Ihnen nicht auch so?
Wenn Sie wütend, aufgebracht oder enttäuscht sind: Wollen Sie dann sachliche Argumente hören? Interessieren Sie im Angesicht von Wut und Schmerz die genauen Erklärungen Ihres Gegenübers? Sie mögen alle richtig und nachvollziehbar sein, aber was nützt mir das in meiner Wut und Enttäuschung?
Die Lösung: Emotionen wahrnehmen und benennen
Wir können unterscheiden zwischen
- der emotionalen Ebene und
- der Sachebene.
Auf emotionale Äußerungen sollten wir nicht mit Emotion reagieren, wohl aber auf der gleichen Ebene.
Bewegt sich ein Gespräch auf der Sachebene, tun wir gut daran, auf der Sachebene zu bleiben, auch wenn das Gespräch emotional aufgeladen ist. Wenn der Patient sofort seine Laborwerte sehen will, geben wir sie ihm. Kein Grund, auf Emotionen einzugehen.
Aber wenn der Patient „unsachlich“ und emotional aufgeladen ist? Wenn er uns mit Vorwürfen und Beschuldigungen überhäuft? Sollen wir dann trotzdem „sachlich“ reagieren? Klar: Wir könnten ihm auf der Sachebene alle Beweise liefern, dass wir an der Situation nicht Schuld sind, andere verantwortlich sind oder er sich damit abfinden muss. Wir können es ihm auch nochmal erklären und ihn mit medizinischen Sachbegriffen mundtot machen. Aber bringt uns das die gewünschte Deeskalation?
Können wir so erregte Emotionen beruhigen?
Die Schritte zu produktiver Kommunikation
Im ersten Schritt machen wir uns bewusst, dass wir nicht für die Emotionen unseres Gegenübers verantwortlich sind. Jeder ist für seine Gefühle selbst verantwortlich. Vielleicht waren wir Auslöser, niemals aber Ursache für diese Emotionen.
Denn alle Gefühle, die ein Mensch verspürt, entstammen einer einzigen Ursache:
- Werden Bedürfnisse befriedigt, spüren wir angenehme Gefühle.
- Werden unsere Bedürfnisse nicht befriedigt, erleben wir unangenehme Gefühle.
Es ist das Geheimnis rascher Deeskalation, diese Bedürfnisse zu erkennen und zu benennen. Damit wechseln wir eben nicht auf die sachliche Ebene, sondern geben unserem Gesprächspartner zu verstehen, dass wir ihn in seinem Schmerz und seiner Unzufriedenheit verstehen. Wir haben uns in seine Situation hineinversetzt. Dazu nehmen wir eine wertschätzende Haltung ein.
Dafür reicht es nicht, einfach zu sagen „Ich kann Ihre Aufregung nachvollziehen, aber…“. Wertschätzung setz voraus, dass man sich ganz und gar in die Situation des Gegenübers hinein versetzt.
Meist ist es das, was unser Gegenüber braucht und was ihn wieder erreichbar macht für ein konstruktives Gespräch.
Wie geht das konkret?
Wenn wir versuchen, die Gefühle und Bedürfnisse unseres Gegenübers zu erkennen, können wir nur Vermutungen anstellen. Wir sollten daher fragen, ob wir richtig liegen, statt „von oben herab“ zu wissen, was in dem anderen vorgeht.
„Sind Sie enttäuscht (Gefühl), weil die Ergebnisse der Biopsie immer noch nicht da sind (Ursache, Tatsache) und weil Sie Gewissheit brauchen (Bedürfnis), wie es jetzt mit der Behandlung weitergeht?“
Wenn wir richtig liegen, fühlt sich der Angreifer verstanden (Empathie). Da er sich emotional angenommen fühlt, besteht für ihn kein Grund für verbale Angriffe.
Und wenn wir daneben liegen? Dann haben wir unser Gegenüber dazu angeregt, selbst über seine Gefühle und Bedürfnisse zu reflektieren. Meist wird er uns jetzt selbst mitteilen, was ihn bewegt (Gefühl) und was er braucht (Bedürfnis).
So haben wir den Angreifer erreicht!
Statt sachlich zu bleiben, haben wir ihm zu spüren gegeben, dass wir uns für ihn und seine Situation aufrecht interessieren und ihn verstehen wollen, statt ihm nur argumentativ zu besiegen.
Das ist es, was wütenden Menschen brauchen!
Vielen Dank für Ihren Artikel und dass Sie eine Situation aufgreifen, die im Alltag einer hausärztlichen Praxis auftreten und die man auf andere übertragen kann.
Allerdings finde ich schade, wie Sie Ihre Artikel beenden. Denn nicht alle Patienten geben sich damit zufrieden, nur weil wir Verständnis für Ihre Emotionen und Gefühle aufbringen.
Ein Beispiel. Wir vertreten uns als Hausärzte gegenseitig zur Urlaubsvertretung. Ein Kollege gewährt seinen Patienten AUs, ohne große Wartezeit und ohne, dass sie zu ihm in die Sprechstunde müssen. Sie erhalten diese am Empfang. Unser Chef hält sich an die gesetzliche Regelung. Viele Patienten habe dafür kein Verständnis und es entstehen regelmäßig Diskussionen, Vorwürfe und dergleichen.