Veränderung um jeden Preis? Was uns daran hindert

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Es ist ein häufiger Anblick:

Frisch beinamputierte Patienten sitzen vor der Klinik in ihrem Rollstuhl.

Sie genießen die Sonne.

Und ziehen an ihrer Zigarette.

Wir sehen fassungslos zu und fragen uns: Warum ändern Menschen sich nicht, obwohl die Schäden ihres Verhaltens klar sind? Sie scheinen resistent zu sein, selbst wenn ihr Leben davon abhängt.

Würden Sie Ihr Verhalten ändern oder lieber sterben?

Natürlich würden sie alles ändern, sagen die meisten!

Alle Studien sprechen dagegen. Von 10 Patienten, die sich nach lebensbedrohenden Diagnosen grundlegende Veränderungen vornehmen, gelingt es einem, eine neue, z.B. gesunde Lebensweise länger als einen Monat durchzuhalten. 90% scheitern!

Selbst Patienten, die nach dem dritten Herzinfarkt eindringlich ermahnt werden, endlich zu handeln, schaffen es meistens nicht.

Alle Warnsignale und wohlgemeinten Ratschläge zu ignorieren, kommt auch in Führungsetagen vor. Erste Anzeichen für Burnout? Nicht schlimm, weiter gehts. Die Kollegen kündigen reihenweise? Kein Grund, mein Verhalten in Frage zu stellen!

Veränderungen dauerhaft erreichen

Es gibt Methoden, Veränderungen anhaltend zu erzielen. In einer Studie wurden Patienten untersucht, die kurz vor einer Bypass-OP standen, weil ihr Herz nicht mehr mit Übergewicht, Diabetes und mangelnder Bewegung fertig wurde.

80% der Teilnehmer konnten dabei grundlegende Veränderungen ihrer Lebensweise erreichen und hatten diese drei Jahre später beibehalten. In der Studie wurde auf viele klassische Vorgehensweisen verzichtet, während andere Methoden zur Anwendung kamen (die drei „R“).

Was kann man tun, um aus 90% Versagen zu 80% Gelingen zu kommen? Was könnten wir im Krankenhaus anders machen? Und was könnten wir im Hinblick auf unser Führungsverhalten und dem Erreichen eigener Ziele daraus lernen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Alan Deutschman in seinem Buch „Change or Die“.

Hohe Kosten im Gesundheitswesen

Ein Großteil der Kosten im Gesundheitswesen, so Deutschman, entstehen durch die Behandlung folgender 5 Probleme:

  • Wir trinken zu viel.
  • Wir rauchen zu viel.
  • Wir essen zu viel.
  • Wir bewegen uns zu wenig.
  • Wir haben zu viel Stress.

Zum Glück hat die Medizin viele Therapien entwickelt, um den Problemen wirksam zu begegnen. Wir haben Stents erfunden und wissen, wie man Bypässe legt. Wir können den Blutdruck senken, den Magen verkleinern, Insulin spritzen und Hüftgelenke ersetzen. Wozu sollten Patienten da noch ihr Verhalten ändern? Es geht doch so viel einfacher!

Nach jeder dieser Maßnahmen besuchen wir pflichtgemäß den Patienten, um ein ernstes Gespräch mit ihm zu führen. Der Patient liegt  zum ersten Mal seit Monaten wieder schmerzfrei im Bett  und  verehrt den Chirurgen wie einen Halbgott. Und dieser gibt sich alle Mühe,  den Patienten für eine gesündere Lebensweise zu „motivieren“. Aber nach dutzenden solcher Gespräche glauben die meisten Mediziner selbst nicht mehr an den Sinn dieser Bemühungen. Wozu, wenn 90% sich nicht ändern? Oder nicht ändern können.

Warum ändern Menschen sich nicht?

In seinem Buch „Change or Die“ analysiert Deutschman die Gründe, warum Menschen ihre Verhaltensweisen nicht ändern. Er benennt, was eine Veränderung behindert und was sie unterstützt. Glaubt man den Ergebnissen, tragen wir Mitschuld am Scheitern unserer Patienten.

Die Gunst der Stunde

In der Notaufnahme begegnen wir Patienten, die nach einem schmerzhaften Herzinfarkt den Tod vor Augen haben. Sie haben Angst und sind bereit, allen Ratschlägen zu folgen. Ärzte, Psychologen und Pflegekräfte nutzen die Gunst der Stunde, um dem Patienten eindrücklich die Auswirkungen ihrer folgenschweren Lebensgewohnheiten aufzuzeigen. Die weiteren Konsequenzen werden dramatisch dargestellt und mit Studien untermauert, um die Motivation zu erhöhen. Folgt man den Beobachtungen von Deutschman, bewirkt dieses Vorgehen das genaue Gegenteil. Es verhindert Veränderung.

Drei Dinge, die Veränderung verhindern

Laut Deutschman sind es die drei „F“, die Änderung behindern: „Facts“, „Fear“ und „Force“.

Fakten

Fakten zu betonen, bewirkt keine Veränderung. Jeder Raucher weiß, dass sein Verhalten tödlich ist und es hindert ihn nicht daran. Würden mehr Fakten tatsächlich helfen, hätten die meisten durch die neuen Warnhinweise auf den Verpackungen das Rauchen aufgegeben. Am Krankenbett dem Patienten mehr Fakten zu präsentieren ist sinnlos.

Angst erzeugen

Da werden nach der OP die weiteren Folgen drastisch geschildert, um dem Patienten Angst zu machen. „Wenn Sie ihr Verhalten nicht ändern, wird Ihr weiteres Leben so aussehen…“ Kurzfristig beeindruckt das Patienten, nach wenigen Wochen ist die Angst verflogen und die warnenden Worte sind vergessen. Niemand konfrontiert sich freiwillig ständig mit dem drohenden Tod.

Zwang anwenden

Wenn Fakten und Angst nicht helfen, dann  Zwang? Ändert der Patient sein Verhalten nicht, bekommt er keine Behandlung mehr. So der Vorschlag einiger Politiker. Druck führt oft dazu, dass Menschen sich kurzfristig unterordnen, um die Bestrafung zu vermeiden. Aber sie verändern ihr Verhalten nicht. Sie unterdrücken es nur, bis der äußere Druck von wieder nachlässt.

Drei Dinge, die Veränderung fördern

Diese bezeichnet Deutschman als die drei „R“: „Relate“, „Repeat“ und „Reframe“:

Bezugsgssystem finden (Relate)

Veränderungen werden eher geschafft, wenn man umgeben ist von Menschen, die an einen glauben, unterstützten und ein wenig „kontrollieren“. In Studien hielten Tumor-Patienten, die gemeinsam in einer Selbsthilfegruppe waren, die Behandlung eher durch als solche, die ohne Unterstützung durch eine Gruppe, die Therapie machten. In Gruppen unterstützen sich Patienten gegenseitig. Sie machen sich  Mut („ich hab es auch geschafft“), helfen bei Zweifeln und spüren jeden auf, der nicht mehr zu den Gruppentreffen erscheint. So bringen Mitglieder der „Anonymen Alkoholiker“ notfalls ein rückfälliges Gruppenmitglied persönlich in die Klinik, um das weitere Trinken zu unterbinden.

Wiederholungen einplanen (Repeat)

Es reicht nicht, sich eine Veränderung einmal vorzunehmen oder einmal einen Kurs zu besuchen. Der Betroffene muss sich – vor allem in den ersten Wochen – immer wieder ins Bewusstsein rufen, was er sich vorgenommen hat und warum es sich lohnt, dran zu bleiben. Ein „Pate“, der immer wieder erinnert, kann dabei helfen. Wichtig ist dabei, nicht ständig an die drohenden Schäden zu erinnern, sondern die Chancen zu betonen, die sich durch Verhaltensänderungen ergeben. Statt  immer mehr Fakten zu präsentieren, wäre die Wiederholung der wenigen, entscheidenden Dinge sinnvoller.

Routinen aufbauen (Reframe)

Ziel ist es, neue Denk- und Verhaltensweisen in tägliche Routinen zu integrieren. Das neue Verhalten muss so selbstverständlich werden, wie das abendliche Zähneputzen. Oft gelingt das, in dem man neue Verhaltensweisen koppelt an bereits bestehende Routinen. Das hilft, sie fest im Verhaltensrepertoire zu integrieren.

Was können wir konkret tun?

Viele Aufklärungen oder Patientengruppen folgen den drei „F“, statt den drei „R“. Statt Fakten zu predigen, Angst zu erzeugen und mit Drohungen zu arbeiten, könnte es mehr bewirken, wenn wir anders vorgehen?

Patienten ermutigen, sich Selbsthilfegruppen anzuschließen oder Bezugspersonen zu benennen, die bei der Umsetzung von Veränderung unterstützen. Können wir Bezugspersonen mit einbeziehen und so den Veränderungen mehr Gewicht geben? Auch „soziale Kontrakte“ können helfen, eine Selbstverpflichtung zu erhöhen.

Bei jeder Gelegenheit sollten wir die Vorteile der Veränderung und deren Machbarkeit betonen. Wir müssen die Zuversicht ausstrahlen, dass die Veränderungen gelingen können. „Sie schaffen das!“, muss unsere Botschaft sein. Natürlich nur, wenn wir auch selbst daran glauben, dass unser Patient es schaffen kann.

Wir sollten Patienten anleiten, überschaubare, konkrete Veränderungen im Alltag zu integrieren und Routinen aufzubauen. Dabei konzentrieren wir uns auf kurzfristig erreichbare Ziele, die zum Dranbleiben motivieren. Eine kleine Änderung, die durchgehalten wird ist sinnvoller als der ganz große Plan, der nach einer Woche wieder aufgegeben wird. 

Und was können Führungskräfte daraus lernen?

Was für Patienten gut ist, kann für Führungskräfte nicht schlecht sein. Denn auch im Führungsalltag nehmen wir uns Veränderungen vor, die wir dann nicht umsetzen. Wir brauchen nicht warten, bis die Probleme so groß werden, dass wir nur noch im Krisenmodus zum Reagieren gezwungen sind.

Hohe Kosten durch mangelnde Führungskompetenz

Ein Großteil der Kollegen, die ihre Stelle kündigen, tun es aus einem Grund: Sie kommen mit den Führungs- und Kommunikationsstil ihres Vorgesetzten nicht zurecht. Viele Chefs erkennen ihre eigenen Schwächen und wissen, wie wichtig es ist,  Kollegen nicht zu verlieren. Nach dem Besuch des Führungsseminars nehmen sie sich viel vor. Und schon in der nächsten Visite ist alles wieder vergessen. Könnten die Methoden, die 80% der Herzpatienten geholfen haben, auch bei Führungskräften dauerhafte Veränderungen bewirken?

Die drei „F“ im Führungsalltag

Repeat

Mit dem Besuch eines Kurses oder dem Lesen von Artikeln ist es nicht getan. Möchte man ein neues Verhalten dauerhaft einüben, muss man sich immer wieder mit dem Thema beschäftigen und sich vor Augen führen, was man sich vorgenommen hat und welche Vorteile es bringt. Dabei ist es besser, sich kleine Veränderungen vorzunehmen und diese immer wieder zu üben.

Reframe

Wir alle haben Routinen ,wie die regelmäßige Besprechung, die Visite oder das Putzen der Zähne. Wie können auch die neuen Verhaltensweisen so zur Routine werden? Können alte und neue Routinen gekoppelt werden, bis sie genauso selbstverständlich geworden sind?

Relate

Auch Führungskräfte können davon profitieren, ein Netzwerk aufzubauen und eine Gruppe zu finden, in der sie Unterstützung finden und andere unterstützen können. In Lerngruppen motivieren sich Teilnehmer gegenseitig, den Lernstoff zu schaffen. Wer möchte sich schon blamieren, wenn die Lerngruppe sich trifft und man den Stoff nicht beherrscht?

Eine Gruppe zur „kollegiale Beratung“ kann Feedback geben und bei der Etablierung neuer Verhaltensweisen helfen.

In „Mastermind-Gruppen“ können sich Gleichgesinnte gegenseitig unterstützen und Erfahrungen austauschen.

Einladung zum Ausprobieren

Sollten Ihre Aufklärungsgespräche über nötige Änderungen des Verhaltens andere Schwerpunkte haben, als bisher?

Können Veränderungen unseres eigenen Verhaltens eher erreicht werden, wenn wir „Relate“, „Repeat“ und „Reframe“ anwenden? Bei welcher Veränderung könnte es helfen? Wie könnte es konkret aussehen?



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